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Postgeschichte – Die Corsini-Briefe – Teil 1: Einführung

Corsini-Brief 1595
Brief aus der Corsini-Korrespondenz von Middelburg nach London (1590) mit Vermerk „paier le porteur G 3½“

      Die Begriffe „Corsini-Briefe“ oder „Corsini-Korrespondenz“ sind wohl jedem Altbriefsammler schon einmal begegnet.
      Die Postgeschichte der Spätrenaissance, der Zeit Elisabeth I., hat sicher nicht so viele Freunde wie die französische Militärpost oder der Postverkehr zwischen Bayern und Preussen im 18. Jahrhundert, aber die Belege dieser Periode haben einen ganz eigenen Reiz – ich bin jedenfalls seit einiger Zeit von diesen Briefen, die keinerlei Stempel tragen (aber sehr wohl eine Reihe von Postvermerken) und eine teilweise sehr gewöhnungsbedürftige Schrift zeigen, fasziniert. (Siehe dazu „Renaissance-Briefe – Einleitung“.)

      Im Folgenden gebe ich Ihnen eine kurze Einführung in die Corsini-Korrespondenz. Diese Sammlung von Briefen eines Handelshauses war, als sie in den 80er Jahren zur Versteigerung kam, die bis dahin grösste zur Postgeschichte dieser Zeit. Nach meinem persönlichen Eindruck (Zahlen habe ich dazu nicht) kommt gerade in der heutigen Zeit eine grössere Menge dieser Briefe wieder auf den Markt; nach meiner Vermutung wohl aus Sammlungsauflösungen aus Erbschaften.

      Wenn Sie nicht nur einen Corsini-Brief als Ergänzung einer Ländersammlung erwerben wollen, sondern sich ernsthaft für die Corsini-Korrespondenz als eigenes Sammelgebiet interessieren, werden Sie um die Beschaffung spezieller Literatur (s. u.) nicht herumkommen; das Buch von Beale/Almond/Archer (BAA) ist unverzichtbar. Eine Beschäftigung mit den politischen Verhältnissen und den wirtschaftlichen Verflechtungen in der Tudor-Ära ist ebenso sinnvoll wie der Erwerb von Grundkenntnissen zur → Paläographie des elisabethanischen England.
      Es erwartet Sie eine faszinierende Epoche, und mit den Corsini-Briefen erleben Sie alles, was (Post)geschichte so spannend macht – gänzlich ohne Orts- und Tax-Stempel!

 

Wer, wo, wann und wie?

      Die Corsinis sind eine sehr alte florentinische Familie; ihre Geschichte ist seit dem 12. Jahrhundert dokumentiert. Im Zusammenhang mit den Corsini-Briefen interessieren uns die Brüder Filippo (Philip) und Bartolomeo (Bartholomew) Corsini. Filippo Corsini eröffnete um 1560 ein Handelshaus in London; Ende 1567 bot sein Bruder Bartolomeo seine Unterstützung an und zog dann ebenfalls nach London.
      Die Corsinis unterhielten Handelsbeziehungen zum gesamten Westeuropa, importierten aber auch Waren aus Übersee.

      Nach dem Tod von Filippo Corsini im Januar 1601 verliess Bartolomeo Corsini London bereits im folgenden Jahr und kehrte nach Florenz zurück, wo er 1613 starb. Das Familiengeschäft wurde von verschiedenen Verwandten weitergeführt; auch Briefe an B. Corsini und seine Nachfolger in Florenz und Piacenza zählen zur Corsini-Korrespondenz.

      Damit haben wir das Wer, Wo und Wann grob umrissen. Wesentlich interessanter ist das Wie, einerseits bezüglich der Umstände, unter denen eine italienische Familie im London des 16. Jahrhunderts Handel treiben konnte, andererseits natürlich hinsichtlich der Postverbindungen im Inland und mit dem Ausland – für eine Firma, die in unruhigen Zeiten europaweite Geschäftsbeziehungen unterhielt, war eine funktionierende Kommunikation mit ihren Handelspartnern in verschiedenen Ländern essentiell.

Ausländische Händler im London der Tudor-Zeit

      Betrachten wir zunächst kurz die Bedingungen für den Geschäftsbetrieb (s. dazu Literatur unten): „Seit dem 13. Jahrhundert etablierten sich die Italiener in der Stadt, um gleichzeitig Geldgeschäfte und Handel mit Wolle zu betreiben, welche letztere sie nach Flandern oder aber an die Zentren der Tuchfabrikation jenseits der Alpen, vor allem nach Florenz, verkauften“ schreibt Pirenne. Die Medici hatten zwar die Londoner Filiale ihrer Bank schon 1478 geschlossen (1), aber es gab zahlreiche andere Firmen. Die ausländischen Händler waren oft gleichzeitig auch Kreditgeber für den Königshof und beteiligten sich an staatlichen Aktionen und Unternehmen (BAA erwähnen den Beitrag der Merchant Strangers zur Aktion gegen die → Spanische Armada 1588). Die Ansiedlung solcher ausländischer Unternehmen wurde von der Regierung gezielt gefördert; die Zölle auf importierte Waren waren ein wesentlicher Teil der Finanzierung der Krone. Einige dieser Händler wurden sehr reich; auch die Corsinis zählten sicher zu denen, die durch ihre Handelsaktivitäten zu beachtlichem Wohlstand kamen.

      Die Londoner Handelshäuser betrieben durchaus erfolgreiche Lobbyarbeit, so erreichten die Merchant Adventurers 1564 ein königliches Dekret, das den Händlern der konkurrierenden Hanse den Export von Kleidung aus Wolle untersagte.
      Die Zeiten für die ausländischen Händler wurden jedoch härter: BAA weisen auf die Probleme hin, die sich durch die unter Heinrich VIII. erfolgte Trennung Englands vom Vatikan ergaben; dass Papst Pius V. Königin Elisabeth I. 1570 exkommunizierte, machte Katholiken in London nicht populärer. Sie wurden in Ruhe gelassen, solange sie ihre religiöse Zugehörigkeit nicht allzu auffällig zeigten („no overtly Catholic links“).
      Der → Krieg zwischen England und Spanien und der → Ausfall Antwerpens als Handelsplatz erschwerten die Situation zunehmend, und ein 1593 vom Parlament beschlossenes Gesetz, das Ausländern jeglichen Warenimport verboten und wohl das Ende für alle von Nichtengländern geführten Handelshäuser bedeutet hätte, wurde erst im Oberhaus gestoppt.

      Bei BAA wird darauf hingewiesen, dass die Lebensumstände für italienische Händler generell gegen Mitte/Ende des 16. Jahrhunderts nicht einfach waren. Man könnte wohl in heutiger Diktion von „Integrationsproblemen“ sprechen, wenn die Autoren darauf hinweisen, dass die Italiener eine close-knit community, eine eng verbundene Gemeinschaft, waren, ausserhalb derer nur selten geheiratet wurde, und dass nur ausnahmsweise die Integration in das London der Tudor-Zeit gelang. Zunehmend verzichteten die Händler auf die eigene Präsenz vor Ort und übertrugen die Geschäftsführung lokalen Agenten. Dass bei Todesfällen kein Nachzug aus der alten Heimat erfolgte, sehen wir auch in der Geschichte der Corsini-Brüder bestätigt.

Postdienste in der Corsini-Zeit

      Von Ausländern betriebenen Handelshäusern standen eine Vielzahl von Möglichkeiten der Postbeförderung zur Verfügung. Neben den „üblichen Verdächtigen“ – staatliche Postdienste, die in Kontinentaleuropa bereits zu dieser Zeit gut etablierten Thurn & Taxis, Stadtposten, private Kuriere – verdienen zwei Institutionen besondere Beachtung. Beide sind mir zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Corsini-Korrespondenz begegnet; vielleicht kannten Sie sie bisher auch noch nicht? Die Rede ist von den Merchant Adventurers of England und der Merchant Strangers Post.

      Die Merchant Adventurers kann man sich als eine Art Vereinigung lokaler Handelskammern vorstellen. Sie gingen aus der bereits 1394 gegründeten Mercer’s Company hervor, die Niederlassungen in einer Vielzahl von Städten (Bristol, Hull, Exeter, Ipswich, Newcastle, Norwich, York) hatte. Zur Zeit Elisabeth I. hatten sich diese mit den London Adventurers vereinigt. Die Merchant Adventurers waren eine ebenso reiche wie mächtige Organisation, die einen gemeinsamen Postdienst zum Kontinent unterhielt. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde ihr jährliches Handelsvolumen auf etwa eine Million Pfund geschätzt; sie besassen dank bester Beziehungen zum Königshaus praktisch das Monopol auf den Tuchhandel.
      Viele Unterlagen zu den Merchant Adventurers sind wahrscheinlich dem grossen Feuer von London im Jahr 1666 zum Opfer gefallen; bei Beale findet man einige Angaben zu Transportrouten innerhalb Englands und zu den Tarifen, die man nach damaliger Kaufkraft als sehr hoch einstufen muss.

      Wie der Name verrät, war die Merchant Strangers Post eine von ausländischen Händlern gegründete Einrichtung. Diese Organisation genoss dank einer 1496 mit dem damals amtierenden König Heinrich VII. geschlossenen Vereinbarung, dem Intercursus Magnus, königlichen Schutz. Die Verteilung des Postverkehrs zum und vom Kontinent (wo die Post von Thurn & Taxis übernommen bzw. übergeben wurde) erfolgte zentral in London. Briefe wurden oft gebündelt und ein interner Portosatz auf dem obersten Brief eines solchen Päckchens vermerkt, was die teilweise extrem hohen Portobeträge auf einzelnen Briefen – bis zu 33 Groat – erklärt. Der oben auf dieser Seite gezeigte Brief kam über Middelburg (gewissermassen das „Übergabepostamt“ von der Thurn-und-Taxis’schen Post zu den Merchant Strangers) und wurde dann innerhalb Englands in einem Paket für 3½ Groat weitertransportiert. (3½ Groat entsprachen 14 Pence, man kann also von sieben Briefen zum normalen Portosatz von 2 Pence für den Transport von einem kontinentalen Hafen nach London ausgehen). Die Merchant Strangers Post endete 1609.

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Fussnoten:

  1. Die Hintergründe finden Sie ausführlich in dem Buch von Raymond de Roover: The Rise and Decline of the Medici Bank, 1397–1494. Beard Group, Inc., 1999.

Literatur:


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Erste Veröffentlichung am 14. November 2020, letzte Bearbeitung am 14. November 2020.


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