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Einleitung – Probedrucke – Farbproben – Essais

      Die Probleme, denen Sie vielleicht begegnen, wenn es um diese „Briefmarken-Vorstufen“ geht, möchte ich an einem praktischen Beispiel illustrieren, an dem ich alle diese Begriffe erklären kann. Sie werden feststellen, dass es eigentlich gar nicht so kompliziert ist.

      Aus dem Angebot „Altschweiz/Kantonalmarken“ eines schweizerischen Briefmarkenhauses:

1843 ESSLINGER Probedrucke
ZÜRICH 4 Rp. Z-Nr. 1.2.2 und ZÜRICH 6 Rp. Z-Nr. 2.2.2
Sehr seltene Druckproben der Lithographie ESSLINGER in Zürich.
Diese Essays dienten als Vorlagen für die definitive Ausgabe.

      Ja, was denn nun? Sind es Probedrucke, Druckproben oder Essais? Offenbar ist sich der Händler selbst nicht ganz sicher, wie er diese – jedem engagierten Altschweiz-Sammler mindestens namentlich bekannten – Stücke genau bezeichnen soll.

      Die deutsche Philatelie hatte in Kurt Karl Doberer (1904–1993) nicht nur einen ungemein kompetenten Spezialisten für klassische Ausgaben, sondern insbesondere auch einen ausgewiesenen Experten für die Gebiete der Probedrucke, Essais und Neudrucke.
      Aus seinem 1963 erschienenen Standardwerk „Essais und Probedrucke altdeutscher Staaten“ möchte ich Ihnen im Folgenden die Einleitung zitieren, die zeigt, dass der Verlust an Genauigkeit in den Begriffen kein Problem des 21. Jahrhunderts ist:

      „Nachdem in der klassischen Zeit der Philatelie, in der Zeit vor und um die Jahrhundertwende, das Essai und der Probedruck das besonders gepflegte Gebiet des über den Katalog hinauswachsenden Sammlers, also des Philatelisten war, erlebten wir lange eine gewisse Verflachung. Begriffe, die vordem noch klar und Allgemeingut des gepflegten Sammlers waren, begannen an den Rand unserer Liebhaberei geschoben zu werden, sie verschwammen allmählich selbst im Blickpunkt vieler Experten zu einem unklaren Begriffsbrei.“

      Doberer liefert im Weiteren eine kurze Beschreibung des Werdegangs einer Marke, in der alle relevanten Begriffe erklärt werden:

  1. Am Anfang steht das Essai, mit dem das Motiv, das eigentliche Aussehen der Marke, festgelegt wird.
  2. Es folgen die Probedrucke, die dazu dienen, die drucktechnisch beste Umsetzung des gewählten Motivs zu finden, dazu gehören auch die Farbproben.
  3. Schliesslich werden Druckproben hergestellt, die zur Genehmigung des Drucks bei den zuständigen Stellen vorgelegt werden („Vorlagedrucke“).

      Ähnliche Definitionen finden Sie in anderen philatelistischen Lexika (s. „Literatur“). Beachten Sie dabei, dass der in diesem Zusammenhang auch gelegentlich genannte Begriff „Maschinenprobe“ in Deutschland erst im Deutschen Reich vorkommt und in den zu „Altdeutschland“ und „Altschweiz“ gehörenden Epochen noch nicht existiert. Bei den Essais (das Wort „Essay“ sollte man für literarische Werke reservieren) kommen natürlich von der späteren Ausgabe abweichende Motive vor, ausserdem muss der Sammler wissen, dass es „Essais“ gibt, die rein private Produktionen der entwerfenden Künstler sind; diese sind philatelistisch wertlos.

      Insgesamt sind alle diese Vorstufen einer definitiven Markenausgabe auch heute noch interessantes Material für den über den Katalog hinauswachsenden Sammler – und so schwer ist es nicht, sie auseinander zu halten.

      Damit kommen wir zurück zu dem am Anfang erwähnten Angebot:

      Hier ist von „Entwürfen vor Annahme des endgültigen Musters“, von „Entwerfern“ und der „graphischen Branche“ die Rede – ist der „Esslinger Probedruck“ (der auch als solcher katalogisiert ist) also tatsächlich ein Essai?

      Für diese Hypothese spricht, dass der Druck der „Zürich 4“ und „Zürich 6“ nicht von einer Firma Esslinger, sondern von Orell, Füssli & Co. ausgeführt wurde – warum sollte eine Druckanstalt, die nicht mit der Herstellung der Marken beauftragt war, Probedrucke (gemäss oben angegebener Definition) herstellen?

      Die These, dass Einiges gegen einen Probedruck und vieles für ein Essai spricht, ist bei Spezialisten heute etabliert: Während ich an dieser Seite arbeitete, habe ich in einem Angebot ein Fotoattest aus dem Hause Zumstein gesehen, in dem die entsprechende „Zürich 4“ als „Esslinger Essai“ bezeichnet wurde. In der unendlich vielfältigen und komplexen Welt der Philatelie ist damit vielleicht wieder ein kleines Puzzleteil nach 160 Jahren an den richtigen Platz gerückt …


Literatur:


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Erste Veröffentlichung am 12. Juni 2005, letzte Bearbeitung am 25. September 2020.


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