Alle Inhalte dieser Site sind urheberrechtlich geschützt; Copyright © C. Ozdoba
Logo der Website „Klassische Philatelie“

Frankreich – Geschichte der Petite Poste

„En ce moment la porte s'ouvrit vivement, et un messager, introduit
par un des guichetiers de la Bastille, remit une lettre au commissaire.“

In diesem Augenblick wurde die Tür rasch geöffnet, und ein von einem
Gefangenenwärter der Bastille eingeführter Bote übergab dem Kommissar einen Brief.

Alexandre Dumas
Les Trois Mousquetaires
Chapitre XIII: Monsieur Bonacieux
(Online beim → Projekt Gutenberg)

      Einen Boten brauchte man also zu Dumas’ Zeiten, um einen Brief zuzustellen – war das nicht Sache der Post? Nein: Für den Briefverkehr innerhalb von Städten war die französische Staatspost nicht zuständig. Insbesondere in der schon im 17. Jahrhundert riesigen Metropole Paris war das ein Problem: Ein Brief von Paris nach Lyon, ein Brief von Marseille nach Paris – das liess sich machen. Ein Brief innerhalb der Stadt oder in einen der Aussenbezirke – das wurde schwierig. Wohlhabende Bürger liessen solche Post durch ihre Bediensteten bestellen, allen anderen standen Boten zur Verfügung, die in den Strassen auf Aufträge warteten.

      Einen ersten Versuch, eine Pariser Stadtpost einzurichten, unternahm Jean-Jacques Renouard de Villayer. Mit einem Dekret vom 17. Juni 1653 genehmigte Ludwig XIV. die Einrichtung eines Postdienstes, der „pour ceux qui s’en voudraient servir, le transport des lettres d’un quartier de Paris à un autre“ (für die, die sich dessen bedienen wollen, den Brieftransport von einem Pariser Stadtviertel in ein anderes) erlaubte. Dieser Postdienst brachte eine für die damalige Zeit geradezu revolutionäre Neuerung, das Billet de port payé. Ein mit einem solchen Billet „frankierter“ Brief konnte einfach in einen der Briefkästen der Stadtpost eingeworfen werden (Briefkästen sind erst in Kombination mit der Vorauszahlung der Beförderungsgebühr wirklich sinnvoll; vgl. dazu die Geschichte der Basler Taube). Im Postbüro wurde das Billet entfernt und der Brief dann zugestellt. Häger schreibt „Diese Pariser Stadtpost hätte auf das Postwesen in Europa revolutionierend wirken können, doch wurde sie nicht allgemein bekannt und bestand nur bis in die 60er Jahre“. Von diesen Billets ist leider kein einziges Exemplar erhalten geblieben.

Billet de port payé – nach Vorstellung des Autors So etwa könnte ein Billet de port payé ausgesehen haben. Die Abbildung entspringt allerdings komplett meiner Phantasie; sie basiert auf den Lexikon-Einträgen bei Bungerz und Häger.

      Eine Briefmarke war dieses Billet allerdings noch nicht: Es trug keine Wertbezeichnung, und eine explizite Entwertung war nicht vorgesehen, da es nach dem Ausfüllen nicht noch einmal verwendet werden konnte. (Kriterien, was eine Briefmarke zu einer solchen macht, finden Sie bei Grallert.)
      Nach der Einstellung dieses Postdienstes gab es lange Zeit in Paris offenbar kein Interesse an dem Thema mehr.

Ausgabe der französischen Post zum Tag der Briefmarke 1944
 
Die französische Post erinnerte mit dieser Ausgabe zum Tag der Briefmarke am 9. Dezember 1944
an Renouard de Villayer und seine Petite Poste.

      Fast 100 Jahre vergingen, bis wieder eine Stadtpost in Paris eingerichtet wurde: Am 5. März 1758 unterzeichnete Ludwig XV. ein Dokument, in dem er Claude Humbert Piarron de Chamousset für einen Zeitraum von dreissig Jahren die Einrichtung und Nutzniessung eines privaten Postdienstes, der Petite Poste, bewilligte.

      Dir Organisation war durchdacht, der Service für die Kunden vorbildlich: Zehn Büros in den verschiedenen Quartieren organisierten einen Postdienst mit täglich neun Briefkastenleerungen und Zustellungen, die ab 6 Uhr morgens im 1½-Stunden-Takt durchgeführt wurden. Es gab einige weitere sehr kundenfreundliche Regelungen; wurde etwa eine Einladung oder Nachricht zugestellt, auf die der Empfänger mit einem einfachen „Oui“ oder „Non“ antworten konnte, war die Zustellung dieser Antwort kostenlos, ebenso wurden briefliche Nachfragen nach dem Zustand eines Kranken ohne Gebühr befördert.

      Die Briefträger betraten Häuser grundsätzlich nicht; sie kündigten ihr Kommen mit einer Klapper an (claquoir oder claquette), die man in praktisch identischer Form auch bei der 1772 in Wien eröffneten Stadtpost findet und die dieser den populären Namen „Klapperpost“ einbrachte.

Ausgabe der französischen Post zum Tag der Briefmarke 1961
 
Auch die Chamousset’sche Petite Poste wurde in Frankreich zu einem Tag der Briefmarke (18. März 1961) gewürdigt.
Die claquette ist das zentrale Motiv des Sonderstempels.

      Die Petite Poste war bei der Bevölkerung sehr beliebt, und Chamousset verdiente nicht schlecht daran: Sein Jahreseinkommen wurde auf etwa 50 000 Livres geschätzt. Das wollte sich der König nicht dreissig Jahre lang ansehen: Schon 1763 wurde die Petite Poste verstaatlicht, die Abfindung für Chamousset fiel mit 20 000 Livres eher dürftig aus.

      Dockwras Penny Post in London war dasselbe passiert, und 140 Jahre später wurde die Privatpost im Deutschen Reich der Reichspost einverleibt. Staatliche Postanstalten sind nicht unbedingt die innovativsten, aber sobald jemand mit einem intelligenten Konzept für eine Postdienstleistung Geld verdient, muss man natürlich einschreiten und diesen Postdienst der staatlichen Aufsicht unterstellen (und dem Staat die Gewinne zuführen).

      Eine petite poste wurde nicht nur in Paris, sondern auch in anderen Städten für den Postverkehr innerorts und zu den jeweiligen Vororten eingerichtet:

Stadt Datum der Genehmigung Beginn des Postbetriebs
8. Juli 1759 9. Juni 1760
29. März 1766 1. Oktober 1766
13. September 1777 1. Januar 1778
6. Oktober 1777 ?
11. Juli 1778 1. Dezember 1778
6. März 1779 1779
11. April 1779 ?
Daten aus Lenain
Dokument zur Einrichtung der Petite Poste in Lyon Dekret des Conseil d'État vom 13. September 1777 zur Einrichtung einer Petite Poste in Lyon.
(Originaldokument aus der Sammlung des Autors)

      Die letzte Neugründung einer Petite Poste fand 1784 in Lille statt, danach flaute das Interesse an solchen Stadtpost-Diensten offenbar ab. Ein königliches Dekret vom 17. August 1791, das am 1. Januar 1792 in Kraft trat, hätte der Idee der Petite Poste noch einmal Auftrieb geben können, denn darin heisst es „L’Administration des Postes est autorisée à former des établissements de Petite Poste dans tous les lieux où elle le jugera nécessaire“ (die Postverwaltung wird ermächtigt, in allen Orten, in denen sie das für notwendig hält, eine Petite Poste einzurichten).

      Interessant ist, dass der Begriff „Petite Poste“ beibehalten und synonym mit „Lokalpost“ oder „Stadtpost“ verwendet wurde. Choisy weist darauf hin, dass in Orten, in denen es schon vor 1792 keine Petite Poste gegeben hatte, mit dieser Verfügung leider keine Verbesserung des Postdienstes für die Allgemeinheit erreicht wurde, denn die Neugründungen waren jetzt zwar generell genehmigt, aber sie fanden einfach nicht statt.

      Erst fast zehn Jahre später wurde der örtliche Postdienst in ganz Frankreich offiziell eingerichtet; die Petites Postes wurden damit überflüssig. Dieses Gesetz trat am 22. März 1800 in Kraft (nach dem damaligen Revolutionskalender am 1. Germinal des Jahres VIII); es regelte „la taxe des lettres de et pour la même commune“ (das Briefporto von und nach derselben Gemeinde).


Literatur:


Links zu dieser Seite:


Zurück zur Sektion Frankreich / zur Startseite.


Copyright © 2013 und verantwortlich für den Inhalt:

Erste Veröffentlichung am 2. September 2013, letzte Bearbeitung am 2. September 2013.


Adresse dieser Seite: https://www.klassische-philatelie.ch/fr/fr_petpost.html

Durch das World Wide Web Consortium validierter Code gemäss dem Standard HTML 5