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Grossbritannien – Auf dem Weg zur Briefmarke – Die Mulready-Umschläge

Mulready-Umschlag
 
Mulready-Umschlag (letter sheet), SG-VS ME1
Inlandstarif; Bridgewater nach Banwell
Aufgabestempel BRIDGEWATER JU 22 1840 (ungewöhnlich auf der Vorderseite)
Der Stempel entspricht dem bei SG-P bis 1839 aufgeführten Typ 3/16 Q.

Motiv der Mulready-Umschläge

      Berühmt war er, der Künstler Sir William Mulready, und sicher fühlte er sich geschmeichelt, als man ihn aufforderte, einen Entwurf für einen Umschlag vorzulegen, nachdem aus einem Wettbewerb mit über 2000 Einsendungen keiner der Vorschläge den Anforderungen genügte.
      Patriot war Sir William sicher auch, denn das, was er nur zwei Tage später, am 15. Dezember 1839, ablieferte, war ein einziger Lobgesang auf den Empire-Gedanken. „Rule, Britannia“ war offenbar die dominierende Idee gewesen:

Mulready-Umschlag

      Zentral im Bild steht Britannia, zu Füssen den englischen Löwen, und sendet mit grosser Geste Engel in alle Richtungen aus. (Dass der Engel oben rechts nur ein Bein hat, fiel damals wohl niemandem auf, oder es hat niemanden wirklich gestört.) Natürlich segelt im Hintergrund symbolisch die Flotte, und der Schlitten mit Rentier steht wohl für die Dominion Kanada.

Mulready-Umschlag

      Rechts und links sind die braven Eingeborenen der Kolonien bei der Arbeit – und beim Briefschreiben (oben links). Alles sehr wirklichkeitsnah!

Mulready-Umschlag

      Die Darstellungen des englischen Heimatlebens rechts und links unten – hier zusammengefasst – sind an Rührseligkeit kaum zu überbieten, sei es in der Person der Grossmutter, die mit andächtig gefalteten Händen himmelwärts schaut, während die Enkelin ihr einen Brief vorliest, oder in der Mutter, der die Kinder am Rockzipfel hängen.

      Aus heutiger Sicht eine vortreffliche Kombination aus Hedwig Courths-Mahler und Rosamunde Pilcher – aber waren solche Druckerzeugnisse wirklich Visitenkarten für das stolze Empire, die damals mächtigste Nation der Welt?

 

Die Mulready-Umschläge kommen beim Publikum nicht an

      Die Bevölkerung, sicher im Grunde ihres Herzens nicht weniger patriotisch als der Künstler, aber mit der britischen Gabe des common sense gesegnet, hatte zu den Mulready-Umschlägen sehr schnell eine klare Meinung, und Rowland Hill (der sie offenbar sehr gelungen fand) verstand die Welt nicht mehr. Willcocks schreibt dazu:

      „Six days later, Hill wrote that ridicule of the envelope had become so strong that some other type of stamp would have to be found for the envelopes. This is sad considering that he had placed all the importance on it, and saw it as the main vehicle for the post of the future. He was very surprised that it was the adhesive label everyone liked and used freely.“
      (Sechs Tage später [am 12. Mai 1840; Anmerkung des Autors] schrieb Hill, dass der Spott über die Umschläge so stark geworden war, dass man für die Umschläge eine andere Zeichnung finden müsse. Dies ist traurig, wenn man bedenkt, dass er ihnen die grösste Bedeutung beimass und sie als das hauptsächliche Medium für die Post der Zukunft sah. Er war sehr überrascht, dass es die Briefmarken waren, die jeder mochte und grosszügig benutzte.)

      Selbst die Times, immer schon eher zurückhaltend und sicher nicht das Sprachrohr der Massen, kam in Sachen Mulready-Umschläge zu dem vernichtenden Urteil „On the merits of the design for these absurdities we have never heard but one opinion. […] Anything more ridiculous could hardly be imagined.“ (1)
      Die erste Ganzsache der Welt hatte, wie auch die erste Briefmarke, keine lange Geschichte: Bereits Anfang 1841 erschien ein Ganzsachenumschlag in neuer Zeichnung.

      Die „Mulreadys“, wie sie heute kurz genannt werden, wurden von einem Teil der Postkunden sicher geschätzt; es existieren heute liebevoll handkolorierte Exemplare, die bei Auktionen zu hohen Preisen den Besitzer wechseln. Es existieren aber auch zeitgenössische Karikaturen, die in ganzen Serien aufgelegt wurden, und die ebenfalls inzwischen gesuchte Sammlerstücke geworden sind. Eine hervorragende Übersicht finden Sie in der Literatur bei Evans, im Web bei der oben zitierten Site.

 

Mulreadys für Sammler

      Kommen wir zu den postalisch interessanten Aspekten dieser Umschläge. Mulready legte seinen Entwurf, wie erwähnt, am 15. Dezember 1839 vor. Die Gravur wurde von John Thompson ausgeführt, der diese Arbeit erst am 1. April 1840 beendete. Beide Namen (Sie kennen das aus den Michel-Katalogen: Entwerfer und Stecher) tauchen im Bild auf:

Mulready-Umschlag

      Analog zu den Marken, der Penny Black und der blauen Two-Pence-Marke, gab es auch die Mulreadys in diesen beiden Wertstufen und den jeweils gleichen Farben, Schwarz für 1 Penny, Blau für 2 Pence. Es gab zwei Ausgaben: Die Umschläge (envelopes) und die Faltbriefe (in der englischen Literatur finden Sie wrapper oder letter-sheets).
      Den oben auf der Seite abgebildeten Brief habe ich für Sie einmal aufgefaltet, damit Sie einen Eindruck von einem solchen letter-sheet bekommen:

Mulready-Umschlag aufgefaltet
Wenn Sie die Aufschriften im Detail studieren wollen,
können Sie ein grosses Bild (1966 x 2126 Pixel) laden.

      Die in der aktuellen Literatur letter-sheets genannten BriefBogen hiessen 1840 im Originaltext des Post Office covers (vgl. Text in der grossen Abbildung, die Sie oben herunterladen können); die envelopes hiessen immer schon so.
      Der SG-VS geht in der Einleitung ausführlich auf diese unterschiedlichen Begriffe ein; Sie finden hier auch den wichtigen Hinweis, dass die Briefmarken anfangs noch als „labels“ bezeichnet wurden; der Begriff „stamp“ bezeichnete jede Art von Stempel, aber z. B. auch den Werteindruck auf den Mulready-Umschlägen.

 

2 Pence

Mulready-Umschlag
 
Mulready-Umschlag (letter sheet), SG-VS ME3
Doppelter Inlandstarif; London nach Doncaster
Vorne: „Sunday stamp“ SUN AU-6 1843 (bei SG-P als 1/14 nur von 1832 bis 1839 aufgeführt)
Hinten: Stempel von Doncaster (ähnlich SG-P 3/15 P mit doppeltem Bogen)
und rotes „C“ im Kreis der collecting agency.
Gemäss Attest mit dem Sonntagsstempel selten.
 
Mulready-Umschlag

 

      Im direkten Vergleich sieht man die Unterschiede zwischen 1d- und 2d-Umschlag. Neben der Farbe ist auch die in Grossbuchstaben ausgeführte Wertinschrift unterschiedlich: Beim 1-Penny-Umschlag ist sie kursiv nach rechts geneigt, bei der 2-Pence-Version in einer normalen Serifenschrift nach links geneigt.

      Am 2-Pence-Umschlag sieht man ausserdem noch eine Beschriftung, die bei allen Mulreadys vorhanden war, aber leider häufig durch das – heute meist abgerissene – Siegel verdeckt wurde: a92 bezeichnet die Auflage des Drucks, aus dem der jeweilige Umschlag oder Bogen stammt. Die entsprechenden Daten finden Sie in der Literatur; das hier gezeigte letter-sheet lässt sich dem ersten (und für die 2-Pence-Version einzigen) Druckblock zuordnen.


Teile des Textes dieser Seite wurden, leider ohne meine Kenntnis oder Genehmigung und vor allem, ohne die Quelle zu nennen, im Rundbrief Nr. 517 (S. 31–32) des DASV verwendet. Eine entsprechende Richtigstellung erfolgte im Rundbrief Nr. 518 (S. 127).


Fussnoten:

  1. In dem zitierten Artikel in der Times wurden statt der Mulreadys die Umschläge von Fores empfohlen. Fores’s (Comic) Envelopes gab es mit Motiven aus vielen Gebieten; andere Verlage, die solche Umschläge herstellten, waren Southgate und Hume. Diese Umschläge existieren in sehr geringen Stückzahlen mit Penny-Black-Frankaturen. Eine kleine Auswahl solcher Stücke finden Sie z. B. bei → Robert. A. Siegel.

Literatur:


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Erste Veröffentlichung am 2. September 2013, letzte Bearbeitung am 25. September 2022.


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