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Das Jahr 2021 bedeutete für diese Website inhaltlich eine erhebliche, in Anbetracht des Themas „Klassische Philatelie und Postgeschichte des 15. bis 19. Jahrhunderts“ schon fast revolutionäre Neuerung: Mit „Grossbritannien ab 1952“ wurde ein Gebiet der zeitgenössischen Philatelie eingeführt.
Die Hintergründe habe ich an anderer Stelle erläutert; heute geht es um eine Idee, die ich im Rahmen der Machin-Ausgaben Grossbritanniens diskutiert und dort als nicht realisierbar verworfen habe: Gibt es – ganz generell, zu irgendeinem Gebiet irgendeiner Epoche – überhaupt jemals die komplette Sammlung?
Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir zunächst klären, was komplett bedeutet: „In den Hauptnummern komplett“ ist ehrlich, beinhaltet aber schon eine Einschränkung, nämlich auf eben diese Hauptnummern. Was ist mit Farb-, Zähnungs- und Wasserzeichen-Varianten? Richtig: Die bleiben bei dieser Lesart aussen vor.
Gut, beziehen wir sie also mit ein. Wenn wir sie dann endlich zusammengetragen haben, sind wir demnach komplett? Weit gefehlt: Es fehlen immer noch die Zusammendrucke und Markenheftchen sowie (soweit vorhanden) Rollenmarken-Endstreifen.
Einige Jahre (und einige hundert Euro oder Franken) später haben wir auch diese im Album. Jetzt sind wir aber doch komplett, oder? Leider immer noch nicht ganz: Es fehlen uns die Vorstufen der endgültigen Ausgabe, also Probedrucke, Farbproben, „Specimen“.
Sind wir jetzt an dem Punkt, wo Sie sich sagen: „Dieser Typ nervt mich allmählich. Was will er denn noch?“
Ganz einfach: Er will noch Plattenfehler, bildgleiche Ganzsachen und vor allem, was wir bislang völlig vernachlässigt haben, die Nachweise des bestimmungsgemässen Gebrauchs, also portogerecht frankierte Belege.
Wenn ich jetzt noch Neudrucke, Nachdrucke und Fälschungen (Fälschungen zum Schaden der Post idealerweise auch auf echt gelaufenem Beleg) erwähne, hören Sie entweder auf, zu lesen, oder Sie überlegen sich, das schönste Hobby der Welt aufzugeben, denn „das schaffe ich nie, die Sammlung wird nie wirklich komplett“.
Richtige Beobachtung, falsche Schlussfolgerung!
Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Nein, es gibt keine komplette Sammlung. Erstmals wurde mir dies schon vor vielen Jahren bei einer Strubel-Ausstellung klar, bei der verschiedene Probedrucke mit dem Vermerk „Unikat“ gezeigt wurden. Dann kann es also keine weitere komplette Strubel-Sammlung geben, weil diese Stücke (voraussichtlich für viele Jahre) in festen Händen sind?
Natürlich ist das Unsinn. Beim Aufbau einer Sammlung gilt, was ich schon vor vielen Jahren schrieb: „Philatelie ist ein Hobby, in dem Sie selbst bestimmen, wie Sie es ausüben; es gibt keine Regeln, und Sie müssen keinem Menschen gegenüber verantworten, was Sie wie sammeln.“
Ergänzen möchte ich das im Kontext des Themas dieser Seite noch um die bekannte Erkenntnis „In der Beschränkung zeigt sich der Meister.“
Wer Gebiete wie Altschweiz, Altdeutschland oder Antichi Stati mit der Idee einer „Komplettierung“ gemäss den oben genannten Kriterien angeht, hat schon verloren. Wer dagegen Deutsch-Südwestafrika mit der Idee einer Zusammenstellung aller Postorte einschliesslich der Wanderstempel auf gelaufenen Belegen zum Sammlungsziel macht, hat eine grosse, aber lösbare Aufgabe vor sich.
Leider unvermeidlich gibt es, wie immer Ihre Sammlung aussieht und was immer Sie anstreben, zwei limitierende Faktoren: Zeit und Geld. Bei mir liegen derzeit mehr als 2000 italienische Altbriefe, mehrheitlich nicht einzeln, sondern als Sammlungen bei Auktionen gekauft; aus diesem Kompilat eine Sammlung zu machen, ist – mittlerweile bei mir ein geflügeltes Wort, das mein Familien- und Freundeskreis schon oft gehört hat – „ein Projekt für die Rente“. Philatelie und Postgeschichte sind zeitintensive Hobbys, wenn Ihre Ansprüche über das Füllen leerer Felder in Vordruckalben hinausgehen. Wer weiss – vielleicht schaffe ich es zu meinem 70. Geburtstag dann endlich, ein ausstellungsreifes postgeschichtliches Exponat daraus zu machen?
Dass unser Hobby Geld kostet, ist eine Binsenweisheit, nur: Welches Hobby ist umsonst? Für das Erstellen einer Modelleisenbahnanlage gilt die Faustregel „1000 Euro pro Quadratmeter“ (ohne Rollmaterial), und wenn Sie die Kosten für ein verlängertes Wochenende in einem Skigebiet mit Anreise, Hotel, Restaurant und Skipass (ohne die Ausrüstung) zusammenrechnen, kommt auch da einiges zusammen.
Zwei Geschichten „aus dem Leben“ illustrieren, wie relativ der Begriff „komplett“ ist: In einer Quizsendung im Fernsehen erklärte ein Kandidat, er sammle Asterix-Ausgaben, und er habe sie „alle komplett“. Auf Nachfrage gab er ca. 35 Hefte als Umfang seiner Sammlung an. Der Quiz-Experte, gegen den er antrat, erklärte daraufhin, ebenfalls eine komplette Sammlung von Asterix-Bänden zu haben, „ca. 1500 in 120 Sprachen“. Haben nicht beide recht, wenn sie ihre Sammlung komplett nennen? Sie gehen nur mit verschiedenen Zielen an das Thema heran.
Ein zweites Beispiel dafür, wie relativ der Begriff „komplett“ ist, finden Sie in der → Geschichte eines Sammlers, der eine komplette Sammlung anstrebte und immer, wenn er dachte, das Ziel endlich erreicht zu haben, feststellte, was es doch noch alles gab. Seine abschliessende Erkenntnis fasst das Problem der kompletten Sammlung so gut zusammen, dass ich diesen Beitrag damit schliesse:
I am still enjoying what I have but know now that I will never have
THE COMPLETE COLLECTION!
Copyright © 2021 und verantwortlich für den Inhalt:
Erste Veröffentlichung am 24. Dezember 2021, letzte Bearbeitung am 24. Dezember 2021.
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