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Vier Neudrucke der ersten Lübecker Ausgabe vom 1.1.1859 gibt es, und diese sind ein schönes Beispiel dafür, warum auch die von vielen Sammlern etwas belächelten Neudrucke philatelistisch ungemein interessant sein können.
Lassen Sie uns, bevor wir uns diesen Neudrucken zuwenden, noch einmal kurz die Echtheitsmerkmale dieser Ausgabe rekapitulieren. Auf der Seite „Fehldruck 2 Schilling“ sind diese Merkmale an den 2- und 2½-Schilling-Marken bereits diskutiert worden.
Lübeck 4 Schilling 1859 MiNr. 5a |
Als Echtheitsmerkmale gelten zusätzliche Punkte über der oberen Punktreihe des Markenhintergrundes sowie Punkte über und unter der unteren Zierleiste:
Wert | Zeichen oben | Zeichen unten |
---|---|---|
½ Schilling | Zusätzlicher Punkt vor dem ersten Punkt der Reihe, im rechten Ende des linken Schriftbandes | Ein Punkt über dem Strich |
1 Schilling | Zusätzlicher Punkt über dem ersten Punkt der Reihe | Ein Punkt unter dem Strich |
2 Schilling | Zusätzlicher Punkt über dem zweiten Punkt der Reihe | Zwei Punkte unter dem Strich |
2½ Schilling | Zusätzlicher Punkt zwischen dem zweiten und dritten Punkt der Reihe, über der Reihe | Ein Punkt über, zwei Punkte unter dem Strich |
4 Schilling | Zusätzlicher Punkt über dem vierten Punkt der Reihe | Vier Punkte unter dem Strich |
Diese als „Echtheitsmerkmale“ gedachten Zeichen sind natürlich seit über hundert Jahren allen Fälschern bestens bekannt; die richtigen Punkte an der richtigen Stelle sind schon lange keine Garantie mehr für die Echtheit einer Marke!
Damit Sie sehen, wie klein die Merkmale sind, die wir hier diskutieren, zeige ich Ihnen exemplarisch zwei Beispiele:
Punkt oben auf der ½-Schilling-Marke im Schriftband | Zwei Punkte unter der Zierleiste auf der 2-Schilling-Marke |
Neben diesen „Geheimzeichen“, die der Besitzer der Druckerei, Herr Rahtgens, selbst schriftlich so festgehalten hat (zitiert bei Doberer), gibt es noch zwei Punkte, die Bestandteil des Markenbildes sind, nämlich hinter „POSTMARKE“ und hinter „SCHILLING“. Der Graveur hatte einige Probleme mit all diesen Punkten:
„Il n’y a que 250 séries réimprimées de Lubeck, exécutées en 1872.
Il est donc inutile d’en parler, car ces dernières sont introuvables sur le marché.“
(Es gibt nur 250 Neudruck-Serien von Lübeck, die 1872 hergestellt wurden.
Es ist daher unnötig, über diese zu sprechen, da sie auf dem Markt nicht zu finden sind.)
Ganz so pessimistisch wie Herr Schloss wollen wir das nicht sehen; wir werden diese Ausgabe hier diskutieren, da sie immer wieder einmal angeboten wird.
Eine Neudruck-Rarität | |
Auch bei Neudrucken gibt es philatelistische Weltraritäten: Beim Württembergischen Auktionshaus kam im September 2013 ein kompletter Bogensatz (!) der MiNr. 1–5 der 1872er Neudrucke unter den Hammer. Diese Bogen – einen zeige ich hier exemplarisch – sind vermutlich Unikate; der glückliche neue Besitzer hätte damit 10 % der Gesamtauflage sein Eigen nennen können. Der Ausrufpreis von € 10 000,– war absolut angemessen – erstaunlicherweise wurde dieses Los nicht verkauft. (Abb.: → Württembergisches Auktionshaus, Los-Nr. 3466 der 119. Auktion, 6.–7. September 2013) |
Dieser Neudruck war privat veranlasst und amtlich genehmigt. Bei Ohrt finden wir weitere Informationen zu dieser Ausgabe:
Paul Kirchner, der als Soldat im deutsch-französischen Krieg verwundet worden war und in einem Lazarett in Lübeck lag, liess auf eigene Rechnung bei der Druckerei Rahtgens (die auch die Originale gedruckt hatte; s. dazu auch „Lübeck: Die Marken“) Neudrucke der 1. und 2. Ausgabe anfertigen (MiNr. 1–5, 8–12, 14; zu den Nummern 8–14 siehe Lübeck – Neudrucke der MiNr. 6–14).
Ein gutes Geschäft war das für den Kriegsinvaliden wohl nicht, da von den Lübecker Marken immer noch grosse ungebrauchte (1) Bestände im Handel waren. Lübeck hatte sämtliche Restbestände nach dem Beitritt zum Norddeutschen Bund (1867) zu einem Spottpreis (600 Taler für über 620 000 Marken (2)) an den Pariser Briefmarkenhändler Charles Pelletreau verkauft. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso Kirchner – nur fünf Jahre später – annahm, dass es ein gutes Geschäft sein könnte, den noch existierenden Hunderttausenden von Marken noch 250 Neudrucke hinzuzufügen. Die auch nach 150 Jahren noch bestehenden Unklarheiten im Zusammenhang mit diesen Neudrucken (etwa, ab wann sie überhaupt in den Verkauf kamen und damit öffentlich bekannt wurden) hat Ullrich in einem 2021 erschienenen Artikel umfassend dargestellt.
Heute ist dieser Neudruck mit seiner kleinen Auflage bei Lübeck-Spezialisten gesucht. Die Gefahr, dass man Ihnen einen Neudruck statt der Originale verkauft, besteht nicht, eher umgekehrt …
Müller-Mark schreibt als Einleitung zum Kapitel über die Neudrucke „Zur Beruhigung für die ängstlichen Gemüter sei gleich vorweg bemerkt: Neudrucke von Lübeck sind seltener und teurer als Originale.“
Dass Herr Müller-Mark damit recht hatte, zeigt dieses Beispiel „aus dem Leben“:
Screenshot von → Philasearch vom 12. März 2024. Der ungebrauchte Originalsatz wurde für EUR 44,– zugeschlagen, der postfrische Neudrucksatz für EUR 1600,–. |
Der Neudruck wurde im Gegensatz zum Original auf Papier ohne Wasserzeichen gedruckt und unterscheidet sich in leichten Farbnuancen vom Original. Doberer weist allerdings darauf hin, dass das Wasserzeichen auch bei vielen Originalen nur schwierig oder gar nicht zu finden ist und dass sich die Farbunterschiede fast nur durch den direkten Vergleich mit mehreren Originalen erkennen lassen.
Kirchner-Neudruck der ersten Ausgabe von 1872 |
Wie steht es mit all unseren Punkten bei diesem Neudruck? Da die Markenausgabe nicht mehr gültig war, hatten die „Echtheitszeichen“ nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher, und so wurde der „überflüssige“ dritte Punkt unter der Zierleiste bei der 2½-Schilling-Marke, den man im Original noch sorgfältig vor dem Druck entfernt hatte, bei diesem Neudruck belassen.
Während der erste Neudruck zwar mit amtlicher Genehmigung, aber auf private Veranlassung zustande kam, sind die Ausgaben von 1959 und 1961, die wiederum vom Lübecker Senat genehmigt wurden, auf Veranlassung des Lübecker Verkehrsvereins gedruckt worden.
Wegen ihrer grossen Auflagen (1959: 5000, 1961: 10 000) sind diese Neudrucke heute noch sehr günstig zu haben; ich habe dafür jeweils weniger als 10 Euro bezahlt.
Wiederum war die Geldbeschaffung der Grund für die Ausgabe (neudeutsch fund raising), diesmal nicht zu Gunsten einer Einzelperson, sondern für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Lübecker Türme.
Man muss zugeben, dass hier rein technisch grössere Probleme zu lösen waren als beim Neudruck von 1872: Damals hatten die Ursteine fünfzehn Jahre im Archiv des Senats gelegen, jetzt waren es über achtzig Jahre. Sie mussten also zunächst gründlich gereinigt werden. So weit, so gut; technisch ist an diesem Druck nichts auszusetzen. Offenbar waren aber keine Philatelisten an diesem Projekt beteiligt, und so konnte der Drucker einige „Korrekturen“ vornehmen, die natürlich philatelistisch absolut inakzeptabel sind: Ein Urstein ist ein Urstein, und ein Abzug vom Urstein muss das zeigen, was auf dem Stein ist, nicht das, was der Retuscheur für „richtig“ hält.
Trotz der durchaus attraktiven Aufmachung (s. Abb.; häufig wird nur das Blatt [unten] ohne die Hülle [oben] angeboten) und ordentlichen Druckqualität ist dieser zweite Neudruck damit wegen zahlreicher Ungenauigkeiten und eigenmächtigen Veränderungen philatelistisch gesehen der am wenigsten brauchbare, da er eben das Bild der Ursteine nicht präzise wiedergibt:
(Grosses Bild, 3476×797) |
Insgesamt entspricht das Markenbild also bei keinem Wert dieser Serie in vollem Umfang dem Urstein. Trotzdem war diese Ausgabe kommerziell gesehen ein Erfolg; die 5000 Neudrucke waren bereits Ende 1959 ausverkauft.
Wegen des grossen Erfolges der Ausgabe von 1959 entschied man sich, eine weitere Auflage herzustellen. Diesmal wurde ein philatelistischer Experte zugezogen, und dank des Fachwissens von Kurt Karl Doberer entstand hier ein Neudruck, der wirklich wertvollles philatelistisches Material darstellt, da er feinste Details der Ursteine perfekt im Markenbild herausarbeitet.
(Grosses Bild, 1246×1683) |
Hier ist alles, wie es sein soll: Die Punkte sind korrekt – natürlich trägt der 2½-Schilling-Wert vier Punkte, da der mittlere unten ja erst vor dem Druck entfernt wurde und auf dem Urstein vorhanden ist –, und selbstverständlich hat die 4-Schilling-Marke den Punkt vor „LÜBECK“.
Dieser Neudruck der uns hier interessierenden 1. Ausgabe, also der MiNr. 1–5, ist im Michel Deutschland-Spezial 2023 nicht gelistet. Dort werden die Neudrucke von 1959 und 1961 aufgeführt, ausserdem ein „Neudruck 1984“, womit wohl der ganz unten auf dieser Seite gezeigte Abzug aller fünf Werte vom Urstein gemeint ist.
Diese Neudruckserie, bestehend aus Kleinbogen mit je 2×2 Marken, auf Papier mit dem (im Gegensatz zu den Originalen sehr deutlichen) Wasserzeichen „fallende Wellenlinien“ gedruckt und in vom Original teilweise deutlich abweichenden Farben, wurde auf private Initiative zu verschiedenen Anlässen über mehrere Jahre zwischen 1978 und 1984 ausgegeben. Die Marken haben jedoch, neben dem Namen „Gehringer“ (→ Georg Gehringer, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Graphische Kunstanstalt und Klischeefabrik) unabhängig vom Ausgabedatum immer den Aufdruck „Neudruck 1978“. (Gemäss einer – aus kommerziellen Gründen nur sparsam illustrierten – → Website hat Gehringer 1978 noch weitere Neudrucke oder Nachdrucke klassischer Marken hergestellt.)
Auf den Kleinbogen findet man in farblosem Prägedruck ganz oben, über „LÜBECK“, ein eingedrucktes Wappen. Die Ausgabeanlässe für die Neudrucke der MiNr. 1–5 waren:
Ich zeige Ihnen hier exemplarisch die MiNr. 1, die Kleinbogen der MiNr. 2–5 sind in gleicher Weise gestaltet:
Die Wiedergabe der oben aufgeführten Echtheitsmerkmale ist bei diesem Neudruck unterschiedlich gut gelungen: Die niedrigen Werte, insbesondere die MiNr. 2 und 3 (1 und 2 Schilling), sind sehr nachlässig ausgeführt, die 2½- und 4-Schilling-Marken dagegen sind gute Wiedergaben des Ursteins:
(Grosses Bild, 2314×562) |
Ein sehr spezieller Neudruck der MiNr. 1–5 erschien zum anlässlich des Weltpostkongresses 1984 durchgeführten „Salon der Philatelie“. Dieser Neudruck vom Urstein zeigt alle fünf Wertstufen zusammen. Der Markenstreifen ist im Prägedruck hervorgehoben, oben finden wir das bekannte Lübecker Wappen und unten, gleichfalls im Prägedruck, das Logo des Salons (s. Abb. links).
Literatur:
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Erste Veröffentlichung am 12. Juni 2005, letzte Bearbeitung am 12. März 2024.
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