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Antichi Stati Italiani/Altitalien – Lombardo-Veneto oder Lombardei-Venetien? Italien oder Österreich?

      Alle italienischen Kataloge der „Antichi Stati Italiani“, also des Sammelgebietes, das wir als „Altitalien“ oder „Italienische Staaten“ bezeichnen, führen dort das Gebiet „Lombardo-Veneto“ auf, ebenso der französische Yvert & Tellier-Katalog.

      Alle deutschsprachigen Österreich- oder Europa-Kataloge, die Kataloge der deutschen Auktionshäuser und der amerikanische Scott-Katalog dagegen listen das Gebiet „Lombardei-Venetien“ bei Österreich.

      Wer hat nun Recht?

      Wenn ich diese Frage mit einem schlichten „beide“ beantworte, steckt nicht etwa die Sorge dahinter, ich könne womöglich etwas schreiben, was den Regeln der political correctness widerspricht – es lässt sich vielmehr tatsächlich für beide Lesarten eine historische Begründung finden.

      Dass Philatelie dazu motiviert, sich mit Geschichte zu beschäftigen, ist hinreichend bekannt. Geht es um das Gebiet Lombardei-Venetien, ist es geradezu unvermeidlich.
      Schauen Sie sich einmal diese Marke an:

Lombardei-Venetien Michel Nr. 6, Stempel Milano Österreich MiNr. 6
mit lombardischem Stempel „Milano“

      Wie kommt ein italienischer Stempel auf eine österreichische Zeitungsmarke?
      Gehen wir zurück in die Vormarkenzeit, bis zum Wiener Kongress (1815): Die Lombardei und Venetien wurden als Regno Lombardo Veneto vereinigt und Österreich zugesprochen. Die Lombardei bestand aus den Provinzen Milano, Bergamo, Brescia, Como, Crema, Cremonia, Lodi, Mantova, Pavia und Sondrio. In Venetien gab es die Provinzen Venezia, Belluno, Padova, Rovigo, Treviso, Udine, Verona und Vicenza.

Karte von Lombardei-Venetien
Lombardei-Venetien
Abb.: → www.flaggenlexikon.de

      Wirtschaftlich florierte die Region unter österreichischer Herrschaft, aber die politische Unterdrückung – das Recht auf freie Meinungsäusserung existierte praktisch nicht – führte zu Unruhen in der Bevölkerung. Bereits ab 1820 kam es zu Aufständen, die in die Bewegung des Risorgimento und die Revolution von 1848/49 mündeten. Diese führte zu verschiedenen Kriegen, in die Österreich, Sardinien-Piemont und Frankreich verstrickt waren. Die Geschichte dieser Zeit zeigt viele diplomatische Winkelzüge (wer mit wem gegen wen); eine ausführliche Darstellung der komplexen Vorgänge, die in letzter Konsequenz zur Gründung des Königreichs Italien führten, finden Sie im bekannten Online-Lexikon Wikipedia unter „→ Risorgimento“.

      Hier eine ultra-kurze Zusammenfassung, so weit sie zum Verständnis der Postgeschichte erforderlich ist:
      In den unruhigen Jahren um 1848 gab König Karl Albert von Sardinien-Piemont diesem Königreich eine relativ liberale Verfassung (konstitutionelle Monarchie); Sardinien-Piemont wurde zum Sammelpunkt der italienischen Einigungsbewegung und mündete schliesslich in das Königreich Italien. So weit sind wir aber noch nicht:
      1848 erklärte Mailand seine Unabhängigkeit und den Anschluss der Lombardei an Sardinien-Piemont, in Venedig wurde die Republik ausgerufen. Karl Albert von Sardinien-Piemont unterstützte die Lombardei und Venetien, verlor aber Kriege gegen Österreich 1848 (Österreich damals unter Feldmarschall Radetzky – ja, den Namen hat man schon einmal gehört …) und 1849. Karl Albert trat zurück und übergab die Regentschaft an seinen Sohn Viktor Emmanuel II. (Vittorio Emanuele II.), der später der erste italienische König wurde. Im selben Jahr kam auch die Stadtrepublik Venedig wieder unter österreichische Kontrolle.

      Zehn Jahre später hatte Sardinien-Piemont erkannt, dass es allein gegen Österreich auf schwachen Füssen stand, und sich 1858 im Vertrag von Plombières die Hilfe Frankreichs zur Eingliederung der Lombardei und Venetiens gesichert; Frankreich sollte dafür Nizza und Savoyen erhalten. 1859, im Krieg Frankreichs mit Sardinien-Piemont gegen Österreich, wurden die Österreicher in der Schlacht bei Solferino (die der Anlass zur Gründung des Roten Kreuzes durch Henri Dunant war) geschlagen.
      Napoleon III. hatte allerdings mit Österreich einen geheimen Waffenstillstand geschlossen (Vertrag von Villafranca, 11. 7. 1859) und sich aus dem Krieg zurückgezogen; im Frieden von Zürich am 10. November 1859 kam so nur die Lombardei zu Sardinien-Piemont, während Venetien habsburgerisch blieb. Erst mit dem „Deutschen Krieg“ Preussen–Österreich im Jahre 1866 kam Venetien zum dann bereits bestehenden Königreich Italien, das ein Bündnis mit Preussen abgeschlossen hatte.

      So weit die Geschichte, nun zur Postgeschichte: Es gab ab 1850 eigene Briefmarken im Regno Lombardo-Veneto mit italienischen Währungsangaben (Centesimi, ab 1. November 1858 Soldi). Während die österreichischen Marken im gesamten österreichischen Herrschaftsgebiet gültig waren (also auch in der Lombardei und in Venetien), durften die Marken von Lombardo-Veneto eigentlich nur dort verwendet werden; Marken mit österreichischen Stempeln sind extrem selten. Die oben gezeigte Zeitungsmarke erschien nie in einer „italienischen“ Version; Verwendungen im Gebiet Lombardei-Venetien sind nur auf der kompletten Zeitung oder anhand gut lesbarer Stempel zu dokumentieren.

      Damit habe ich die Postgeschichte allerdings nur oberflächlich angekratzt, denn Lombardo-Veneto (oder doch „Lombardei-Venetien“?) ist ein unglaublich komplexes Gebiet. Besuchen Sie, wenn möglich, einmal hochklassige Briefmarkenausstellungen und vertiefen Sie sich zum Beispiel in das Gebiet der Mischfrankaturen: Die 1. Ausgabe von Lombardei-Venetien kann auch in Mischfrankatur mit Marken von Parma oder des Kirchenstaates vorkommen, die 2. mit Ausgaben Sardiniens oder den Provisorischen Regierungen von Modena und der Romagna, die 3. mit der 4. Ausgabe Sardiniens, und die 5. mit Ausgaben „Italiens“ von 1865.
      Dann gibt es natürlich noch Ganzsachen, die erwähnten Zeitungsmarken, die Ausgabe während des 3. Unabhängigkeitskrieges, die Verwendungen in der österreichischen Levante, die Mailänder und Veroneser Postfälschungen …

      Sollte ich jemals die „sammlerische Reife“ erreichen, mich auf ein einziges Gebiet in der faszinierenden Welt der Klassik zu beschränken, wäre Lombardo-Veneto wahrscheinlich die erste Wahl – dieses Gebiet hat alles, was klassische Philatelie interessant macht!


Literatur:


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Erste Veröffentlichung am 12. Juni 2005, letzte Bearbeitung am 1. Januar 2016.


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