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Einleitung – Der feine Unterschied zwischen „geschnitten“ und „ungezähnt“

      Der Schüler Zi-lu sprach zu Konfuzius: „Wenn Euch der Herrscher des Staates Wei die Regierung anvertraute – was würdet Ihr zuerst tun?“ Der Meister antwortete: „Unbedingt die Namen richtigstellen.“ Darauf Zi-lu: „Damit würdet Ihr beginnen? Das ist doch abwegig. Warum eine solche Richtigstellung der Namen?“ Der Meister entgegnete: „Wie ungebildet du doch bist, Zi-lu! Der Edle ist vorsichtig und zurückhaltend, wenn es um Dinge geht, die er nicht kennt. Stimmen die Namen und Begriffe nicht, so ist die Sprache konfus. Ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Mißerfolg. […] Darum muß der Edle die Begriffe und Namen korrekt benutzen und auch richtig danach handeln können. Er geht mit seinen Worten niemals leichtfertig um.“

Konfuzius
Gespräche XIII, 3

      Nicht nur der Edle, sondern auch der Philatelist sollte „die Begriffe und Namen korrekt benutzen“. Auf der Seite „Probedrucke – Farbproben – Essais“ habe ich bereits darauf hingewiesen, wie unscharf der Gebrauch einzelner – eigentlich klar definierter – Fachbegriffe in der Philatelie geworden ist.

      Auf dieser Seite geht es um zwei termini technici, die häufig, aus Nachlässigkeit oder Unkenntnis, als Synonyme angesehen und gebraucht werden, die aber zwei sehr verschiedene Dinge bezeichnen: ungezähnt und geschnitten.

      Wie definiert die (deutsche; dazu unten mehr) Literatur diese Begriffe? Schauen wir in die wichtigsten Kataloge und Lexika:

Referenz geschnitten ungezähnt
Michel Deutschland-Spezial 2006 In der Philatelie werden als geschnitten nur solche Marken bezeichnet, die amtlich und regulär ohne Durchstich bzw. ohne Zähnung ausgegeben wurden. Versehentlich nicht gezähnte Marken werden als ungezähnt (U) bezeichnet und als Abarten katalogisiert.
Grallert Lexikon der Philatelie Zustand von Marken, die im Herstellungsprozeß nicht mit Perforation (Zähnung, Durchstich) versehen worden sind und deshalb vom Bogen mit der Schere abgetrennt werden müssen. Bezeichnung für Marke, die während des Perforierens versehentlich ohne Zähnung geblieben ist.
Häger Großes Lexikon der Philatelie Philatelistischer Begriff für mit der Schere aus dem Bogen herauszutrennende Marken und in dieser Form von der Post verausgabt. Philatelistischer Begriff für aus Versehen oder in Folge Versagens der Zähnungsmaschine nicht gezähnte Marken, die aber von der Post als gezähnt zur Ausgabe vorgesehen und deshalb eigentlich Makulatur sind, der Kontrolle entgingen oder auf dunklen Wegen aus der Druckerei in den Handel gelangten.

      Die Marken sehen zwar gleich aus – ganz einfach gesagt: Sie haben keine Zähne –, aber im einen Fall (geschnitten) ist dies Absicht, im anderen Fall (ungezähnt) Versehen, Fehler, Defekt, auf jeden Fall eigentlich nicht so vorgesehen.

 

Der Sonderfall Schweiz

      In der Sektion Schweiz dieser Website finden Sie mehrere Erwähnungen der „Strubel“, oft mit der erklärenden Ergänzung „sitzende Helvetia ungezähnt“, französisch „Helvetia assise non dentelée“. Diese deutsche oder französische Bezeichnung findet sich manchmal auch im Titel der entsprechenden Literatur.

      Wieso „ungezähnt“? Haben hier über einen Zeitraum von acht Jahren (1854–1862) bei der Herstellung von Millionen von Marken die Zähnungsmaschinen versagt?
      Natürlich war das nicht der Fall – die „Strubel“ sind geschnitten verausgabt worden. Im seit fast 100 Jahren massgeblichen schweizerischen Katalog, dem Zumstein, heisst es allerdings in der Einführung „ungezähnt oder geschnitten bezeichnet man diejenigen Marken, die ohne jede Trennungsvorrichtung an die Postschalter gegeben und mittels Schere auseinandergeschnitten werden“.
      (Der entsprechende Text lautet in der französischen Fassung „Non dentelé, ou coupé, désigne l’état des timbres livrés au guichet de la poste sans perforation ni dentelure et qui devaient être séparés à l’aide des ciseaux“.)
      Diese Definition ist für geschnittene Marken natürlich absolut richtig; sie hebt darauf ab, dass diese Marken so von der Post ausgeliefert und am Schalter verkauft wurden. Die beiläufige Gleichsetzung „ungezähnt oder geschnitten“ allerdings ist eine zu starke Vereinfachung.

      Wirft man einen Blick in das im gleichen Haus erscheinende Philatelistische Wörterverzeichnis, stellt man fest, dass es die Trennung dieser beiden Begriffe in einigen Sprachen gibt, während in anderen derselbe Begriff für geschnitten und ungezähnt verwendet wird:

deutsch geschnitten ungezähnt
dänisch klippede utakket
englisch imperforate
französisch coupé non-dentelé
holländisch ongetand
italienisch tagliato non dentellato
portugiesisch cortado
schwedisch klippt otandad
spanisch sin dentar (cortado) sin dentar
Quelle: Zumstein Philatelistisches Wörterverzeichnis

      Fazit: Geschnitten und ungezähnt sind zwei sehr verschiedene Dinge. Benutzt man eine Sprache, die es erlaubt, diese Verschiedenheit auszudrücken, dann sollte man das auch tun, denn „ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Mißerfolg …“


Literatur:


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Erste Veröffentlichung am 1. Juli 2006, letzte Bearbeitung am 1. Juli 2006.


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